Meine kleine Tour de Suisse I

Eigentlich sollte dieser Trip ganz anders laufen. Und zwar so: Vom Gotthard zum Genfer See. Start hätte am vergangenen Donnerstag sein, es hätte mit kleinem Gepäck über die Berge gehen sollen, doch das Wetter zog mit feuchter Tinte einen dicken Strich durch die Planung. Schneeregen war angesagt. Und darauf kann ich gut verzichten, mit 25 Millimeter schmalen Semislicks im Schnee herumzurutschen. Der übrigens tatsächlich ab 2.000 Metern fiel. Zum Glück habe ich die Sache gecancelt!

Doch muss deswegen gleich die ganze Tour ausfallen? Nein; dazu hatte ich mich zu sehr auf die Schweizer Pässe gefreut. Also kommt nun die Kurzversion.

Der nächste Debakel gab's beim Packen. Der Rucksack war zu klein, obwohl ich mich aufs Allernötigste beschränkt hatte. Abgesehen von der kleinen, faltbaren Bluetooth-Tastatur, mit der ich diesen Post schreibe. Und dem Mulititool mit Kettennieter: Was für ein Brikett! Warum in Gottes Namen habe ich den überhaupt nur gekauft? Ich habe noch nie nie nie gehört oder erlebt, dass jemandem die Kette gerissen wäre. Ein Satz Inbus-Schlüssel hätte auch gereicht. Und ich Horst nehme ihn sogar mit auf die Tour. Warum???

Schließlich habe ich die Allwetter-Jacke weggelassen. Und das Langarm-Trikot. Wird schon nicht so kalt werden, dachte ich, und zur Not könnten der ultraleichte Vliespulli und die Regenjacke beide ersetzen. Hat bisher funktioniert.

Aber die Klamotten musste ich in den Rucksack geradezu verpressen. Leider fällt bei meiner Körpergröße alles gleich zeltmäßig groß aus. Als ich ihn hochgehoben habe, dachte ich nur: Fünf Kilo, sechs Kilo? Vergiss es. Viel zu schwer für eine Pässetour. Aber: Muss ja. Anders ging es nicht, ich konnte nichts mehr weglassen.

So, nun aber genug der Klagen. Auf zur Tour. Los geht's gegen 10:30 Uhr in Reichenbach im Kandertal, wo ich mich in einem kleinen, lauschigen Hotel eingemietet hatte, und auf dem Radwanderweg Richtung Wimmis merke ich schon an der allerersten kleinen Steigung: Der Rucksack zieht mich runter wie den Fischer und seine Frau.


Vor der Post in Zwischenflüh rechts ab!

Für den Vormittag habe ich mir den Gestelenpass vorgenommen, eine schmale Nebenstraße, die den Weg aus dem Diemtigtal nach Zweisimmen abkürzt. Schon am Anfang des Tals muss ich den kleinsten Gang benutzen. Bei etwa acht Prozent 18 sollen noch kommen. Aber schließlich erreiche ich die Post in Zwischenflüh und steige in den Pass ein. Es läuft ganz flüssig, steil zwar, aber das Anfangsstück soll auch zu den härtesten gehören. Später wird es flacher, die Landschaft lieblich. Typische Schweizerhäuser säumen rechts und links den Weg, flache und steile Passagen wechseln einander ab und ich muss kämpfen. Holla! Immer wieder Pause.

Dieser Pass ist ein Biest. Die großen Alpenpässe sind mit viel ingeniösem Hirnschmalz als gleichmäßig ansteigende Pisten konstruiert worden, wenn sie mit zehn Prozent anfangen, dann hören sie meist auch mit zehn Prozent auf. Aber hier, an dieser Nebenstraße, gibt die Landschaft den Takt vor, und mit ihr wechseln auch die Steigungsprozente. Auf den langen Anstieg vorbei an den Tipis von Menigboden folgt eine flache Traverse, und danach wird's richtig brutal, das müssen die 18 Prozent sein. Mein Puls schlägt Stakkato, die Oberschenkel sind nur noch Marmelade. Aber ich! schiebe! nicht!



Meniggrund

Schließlich erreiche ich die Passhöhe, die langweiliger kaum sein könnte. Ein paar Autos stehen herum, that's it. Mir ist kalt, schnell runter ins Tal.


Meienberg oberhalb von Boltingen

Schnell? Ha ha. Die Abfahrt vom Gestelenpass ist eher zum Abgewöhnen, steil, von Rippen und Schlaglöchern durchzogen, alle Kurven und Kehren uneinsehbar. Mir fällt ein, was ich nicht in meinem Rucksack habe: Bremsgummis! Mehrfach halte ich an, um die Felgen abkühlen zu lassen. Mit Glück sehe ich auf der Abfahrt gerade noch, dass quer über den Asphalt das Randblech eines Kuhgitters zentimeterhoch aus der Straße ragt. Das hätte jedes Vorderrad gekillt! Erst auf den letzten Metern wandert die Kette aufs große Blatt.

Der Gestelenpass ist eine echte Herausforderung, das Panorama mal lieblich, mal spektakulär. Wer ihn sich antun möchte, sollte vorher die Beschreibung bei www.quaeldich.de genauestens studieren. Sonst tut's weh.

Unten angekommen, sehe ich auf meinem Handy, dass nur einen Kilometer entfernt das Gasthaus am Bach auf mich wartet, und freue mich auf Kaffee mit Apfelkuchen. Doch als ich dort ankomme, ist es geschlossen. Ich frage im benachbarten "Brocki" (schweizerisch für: Brockensammlung) von Garstatt, was mit dem Gasthaus sei, und erfahre, dass man dort nur übernachten kann, mehr nicht, nicht einmal frühstücken. Doch die Inhaberin des Krimskramsladens lädt mich spontan zum Kaffee ein, merci vielmals! Zwischen allerlei Küchenzubehör nehme ich Platz auf einem alten Holzstuhl (10 Fr) und schaue mich um. Filmrequisiteure könnten hier glücklich werden: Wer auf der Suche nach einem Siebziger-Jahre-Teeservice (20 Fr), einer alten Moulinette (10 Fr) oder einem originalen Nudelholz (2 Fr) ist, sollte unbedingt diesen Laden aufsuchen. So ein skurriles Sammelsurium habe ich seit langem nicht mehr gesehen. Und der Kaffee ist perfekt!



Brocki in Garstatt

Für den Weg hoch zum Jaunpass wähle ich die Nebenstrecke. Fehler! Gerechnet hatte ich mit gleichmäßigen acht Prozent Steigung, wie auf der Hauptstrecke, doch wieder erwarten mich steile Rampen, die mich mit meinen 100 Kilo Lebendgewicht plus Gepäck regelrecht zermürben. Dieser verdammte Rucksack macht mich zum Touristiker, bloß ohne die geeignete Übersetzung.

Für mich sind solche wechselnden Steigungen die Pest, aber leichtere Fahrer werden an der Nebenstrecke ihre helle Freude haben. Ruhig und beschaulich mäandert die Straße dem Jaunpass entgegen, linker Hand erfreut der Blick auf die schneebedeckten Rhoneberge das Radlerauge und -herz.



Die letzten beiden Kilometer auf der gleichmäßig sich hochwindenden Hauptstraße sind für meine Beine ein Segen. Die Passhöhe: Mal wieder freudlos, bisschen Hotellerie, bisschen Gastronomie im Stile der Sechziger. Wie im Sturm geht's anschließend hinunter nach Jaun, wo ich im Hotel am Wasserfall übernachten möchte. Darauf freue ich mich schon länger. Das leerstehende Hotel hatten Geschäftsleute aus dem Dorf übernommen und liebevoll restauriert, damit das Dorfleben nicht vollends erstürbe. Also, dachte ich, sollte dort ein Zimmer zu haben sein. Pustekuchen! Alles voll. Auch das benachbarte BnB ist ausgebucht. Das verschlafene Nest, das ich erwartet hatte, entpuppt sich als quirliger Urlaubsspot. Ich überlege kurz, ob ich die weiteren BnB im Ort abklappern soll, aber dann entscheide ich: Ach was, weiter nach Saanen. Sind doch nur 600 Höhenmeter dazwischen, wird schon irgendwie, die Strecke soll hinreißend sein. Und nachdem mich die ersten beiden Pässe eher genervt hatten, kann ich ein paar Glückshormone gut gebrauchen. Erstaunlicherweise sagen mir auch meine Beine: Fahr! Na, hoffentlich war das mal nicht geschwindelt von den beiden.


Hinter Jaun: Hof rechts des Weges
Hinter Jaun: Hof links des Weges

Doch diese Kilometer entschädigen mich in der Tat für alles. Die Strecke zum sogenannten Mittelberg, einer Passhöhe oberhalb von Gstaad, führt zunächst an wunderschönen alten Gehöften vorbei, dann entlang eines romantisch dahinplätschernden Wildbachs, ehe sie schließlich zunehmend steiler werdend ihren höchsten Punkt erreicht. Einsam ist's hier oben, wenn man von gelegentlichem Gegenverkehr absieht. Und von den Kühen. Weit verstreut grasen sie auf den Almen und Hängen, von überall her erklingt das Geläut ihrer Glocken.



Wer die Gelegenheit hat, sollte den Mittelberg unbedingt fahren, und am besten von der Jauner Seite her. Auch die Abfahrt ist ein Traum, ein schmales Sträßchen zwar, sodass man immer die Geschwindigkeit kontrollieren muss, falls mal Gegenverkehr kommt, doch es geht entlang eines Wildbachs durch eine malerische Schlucht. Nie zu steil, nie schwierig - eine Genießerabfahrt par excellence. Gern würde ich hier ein paar Fotos posten, aber - hey! Anhalten, auf so einer Traumabfahrt? No way! 😀

Ein paar zusätzliche Höhenmeter lege ich noch obendrauf, weil ich auf der Abfahrt an dem Hotel vorbeiflitze, das ich von Jaun aus noch schnell gebucht hatte. Fluchend wende ich das Rad und kämpfe mich die Straße hoch. Aber das war es wert!

3.300 HM hat Runtastic für mich gemessen, realistisch sind wohl so 2.700-2.800. Die Durchschnittsgeschwindigkeit ist zum Vergessen. Aber egal. Morgen habe ich ein Date mit Freddie. Ich freu mich drauf!

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