Meine kleine Tour de Suisse II

Schweizerhaus am Col du Pillon

Pässe sind selten schön. Die Straßen hinauf sind es, die Landschaften und Berge drumherum, die Abfahrten können gar traumhaft sein, aber oben sieht es meist karg aus, manchmal sogar monströs häßlich. So auch auf dem Col du Pillon jenseits von Gstaad. Jeder Meter auf dem Weg zur Passhöhe ist ein Genuss, aber oben erwartet den Durchreisenden ein riesiger Parkplatz und überall Autos, Autos, Autos, dazu eine Giga-Seilbahnstation mit dem Charme eines Altkleidercontainers.

Aber an den Rand haben sie die durchaus raumsparende Attrappe eines Schweizer Chalets gestellt. Fürs Foto. Hübsch, nicht wahr? Das ist die Realität:

Blick in die Gegenrichtung, drumherum gibt's noch viel mehr Parkplatzwüste

Schnell weiter.

Aber zurück zum Anfang des Tages. Der Weg zum Col du Pillon könnte idyllischer kaum sein. Der Radwanderweg Nr. 9 führt lange an einem kleinen Bach entlang und streift kurz Gstaad, ehe er auf die Hauptstraße einmündet. In Gsteig beginnt die Steigung, die immer freundlich bleibt. An mir ziehen Motorradfahrer vorbei, aber auch zwei Magnum-Ferraris und ein alter GTO. Herrlich. Als ich denke, dass ich etwa die Hälfte der Steigung hinter mir habe, lege ich eine Pause ein und schaue aufs Handy: Da sind es zu meiner Überraschung nur noch fünfhundert Meter bis zur Passhöhe. Läuft.

Gern hätte ich auf der Abfahrt unterwegs einen Kaffee getrunken, aber Ormont-Dessus lädt mich nicht ein, und weiter unten kommen keine Gasthäuser mehr, nur noch eine Tanke. Nun könnte ich gemütlich hinunterdüsen bis Aigle, kurz den Gaunern von der dort ansässigen UCI vor die Tür pinkeln und finito, Tour zu Ende. Aber ich habe noch was vor. Also biege ich auf die schmale Nebenstraße nach Les Voëttes ab, einer Traverse zum Col de Mosses, die mir ca. 200 Höhenmeter erspart. Zack! hänge ich wieder in der Steigung, und ab jetzt geht's zur Sache mit acht Prozent und mehr. Aber im Gegensatz zu gestern finde ich meinen Rhythmus, der Rucksack stört kaum, und ich klettere stetig höher. Der Blick zur Linken ins Rhonetal ist atemberaubend; aber dafür zieht sich die Steigung. So anstrengend hatte ich diese Passage nicht erwartet, aber ich mag dieses schmale, raue Sträßchen, das mich an entzückenden alten Höfen vorbeiführt und mit immer neuen, herrlichen Panoramablicken aufwarten kann.

Zwei Kilometer unterhalb des Col des Mosses mündet die Abkürzung auf die Passstraße, der Rest ist gemütlich zu fahren, und zum ersten Mal auf dieser Tour kann ich einen anderen Rennradfahrer überholen.

Der Col des Mosses ist nicht gemütlich. Er wird dominiert von zwei riesigen Bettenburgen, vermutlich aus den frühen Siebzigern, und auf dem absurd überdimensionierten, komplett geteerten Parkplatz findet ein Floh- und Ramschmarkt statt. Auf einem Alpenpass. Muss man erstmal drauf kommen.

Gegenüber den Bettenburgen gibt's als kleine Raststätte wieder die Attrappe eines Schweizer Chalets. Ich atme ein sehr fettiges Croque Monsieur ein und verlasse den unwirtlichen Ort so schnell wie möglich. Schon ein paar hundert Meter weiter herrscht Ruhe. Seltsam, wo kamen all die Autos, all die Menschen her? Im nächsten Ort, La Lècherette, biege ich links ab.

Und nun kommt der Grund, warum meine kleine Tour de Suisse genau so stattfindet, wie sie stattfindet. Zur Erinnerung: Geplant war ursprünglich eine Fahrt vom Gotthardtunnel zum Genfer See, wegen schlechten Wetters hatte ich sie ein paar Tage verschoben. Aber dann hätte doch auch samstags in Andermatt abfahren und meine Tour bis zum Genfer See abradeln können. Stimmt grundsätzlich, doch ich wollte unbedingt zum Lac de'l Hongrin und nach Les Agites, einer idyllischen, einsamen Hochebene oberhalb von Montreux, durch die sich eine angenehm zu fahrende Straße zieht. Das Problem: In Les Agites schießt das Schweizer Militär, und zwar scharf, deshalb ist die Straße wochentags gesperrt.

Das Schweizer Militär verhält sich da im übrigen sehr korrekt: Auf www.hongrin.ch informiert es interessierte Reisende im Detail, wann womit geschossen wird. Morgen, am Montag, sind Lafetten dran. Da möchte man nicht im Wege stehen.


Vor der Kaserne in La Lécherette

Die Straße zieht sich mit ein paar Aufs und Abs über die Hochebene und schon nach wenigen Minuten liegt rechterhand der Stausee.




Gut, viel kleiner ist der Decksteiner Weiher auch nicht. 😉 Die Route des Agites ist bis zum Schießplatz breit wie ein Boulevard, und sie ist mit einem Aufwand an den Hang getackert worden, der an die Brennerautobahn erinnert. Eine Rennstrecke, kaum befahren. Den durchpedalierenden Rennradler freut's, nur man fragt sich: Wozu? Damit der Schweizer StUffz mal ungestört seinen tiefergelegten Honda Civic ausfahren kann? Egal, ich radle weiter, erfreue mich an den umgebenden Felsgipfeln und dem Kuhglockengeläut von den Hängen.

Aber wieso sind hier Kühe? Werden die jeweils vor den Schießübungen evakuiert, oder macht man so Züricher Geschnetzeltes?

Ich erreiche den eigentlichen Schießplatz, die Straße wird schmaler, der Asphalt rauer, noch einmal zieht die Steigung an, dann endlich öffnet sich der Wald, der Blick wird weit, ich bin auf dem Balkon des Genfer Sees angekommen. Yippie, darauf hatte ich mich seit langem gefreut!




Plötzlich sind da auch wieder Autos. Aber nur ein paar, denn der Weg hoch nach Les Agites ist nicht ohne. Das Sträßchen ist im oberen Teil steil und schmal, und dahinter wartet ein enger, unbeleuchteter Tunnel, der viertelstündlich wechselnd jeweils nur von oben oder von unten durchfahren werden darf, die andere Seite hat so lange zu warten. Ein Autofahrer hat sich heute nicht an die Regelung gehalten, als er um 16:31 entgegen der vorgeschriebenen Fahrtrichtung an mir vorbeifuhr, dachte ich nur: "Na, spät dran ...?"Zu spät: Heißa, gab das ein Hupkonzert!

Der Tunnel de la Sarse unterhalb von Les Agites



Die Abfahrt nach Corbeyrier


Direkt nach dem Tunnel geht es steil bergab, die Straße windet sich am Hang entlang und ist kaum einsehbar, sodass ich wieder voll in den Bremsen hänge. Aber weiter unten wird's angenehmer, die Straße breiter, und ab Corbeyrier ist da nur noch pure Freude. Viele kleine Kehren reihen sich aneinander, es gibt kaum einen geraden Meter, ich kreisele vergnügt durch die Kurven, und ab Yvorne geht es den letzten Kilometer geradeaus voll Schuss nach Aigle hinein.

Etwas später bin ich auch schon bei meinem Freund Freddie, so glücklich wie ausgepowert! Hinter mir liegen insgesamt 190 Kilometer und ca. 4.300 Höhenmeter. Morgen geht's mit dem Zug zurück nach Spiez.






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