"Steel is real" – Teil III

Vintage Bike Guide die Welt der Stahlklassiker

7. Blink blink blink

Selbst als das gesamte Peloton schon längst auf Carbon unterwegs war, war deutschmedial das meistverwendete Attribut für alles, was mit dem Rennrad zu tun hatte, „blitzend“. Blitzende Speichen, blitzende Rennmaschinen, blitzende Ketten und Kränze, blitzende Sonne über dem blitzenden Mittelmeer, blitzender Lack, blitzender Chrom, ja sogar blitzende Beine. Weil rasiert.

Wer tut so was? Man nennt solche Schreiberlinge auch „Einworthasen“.

"Blink blink" - auch am Carbonrad
Und doch war es nachvollziehbar. Denn ein gutes Rennrad musste blitzen, dafür wurde geputzt und poliert, was der Lappen hergab! Das gilt auch heute noch für alle Stellen, an denen blankes Metall hervorlugt.

Hallo? Selbstverständlich benutze ich zur Fahrradpflege Q-Tipps. Was denn sonst?

Chrom war früher weit verbreitet, aber ursprünglich nicht als Design-Element, sondern zum Schutz vor Korrosion. So wurden vor allem jene Bereiche des Rades verchromt, die Stein- und Kettenschlag ausgesetzt waren: Hinterbau und Gabel. Hochwertige Räder wurden schon mal komplett unterchromt, was allerdings den Nachteil hatte, dass auf dem glatten, versiegelten Untergrund der Lack leichter abplatzte. Zwischenzeitlich war auch „cromovelato“ schwer angesagt, transparenter Lack auf verchromtem Rahmen, ein Markenzeichen vor allem von Faggin.

Dazu kamen, als die Zeit der Schnörkel und Gravuren glücklich überwunden war, polierte Alu-Komponenten. Je teuer die Teile, desto edler das Finish, der seidenweiche Glanz der Campagnolo-Komponenten ist bis heute unübertroffen.

Auch hier trennt sich die Spreu vom Weizen. Verchromungen waren eher hochwertigen Rahmen vorbehalten. Staubeinschlüsse, Poren oder gar Rost im Chrom künden von schlampiger Machart. Hochwertig poliertes Alu korrodiert nicht, im Gegensatz etwa zu billigen Vorbauten, die schnell blind werden. Und Stanzblech wird auch nach stundenlangem Wienern nicht glänzen. „Blink blink“ zeugt also von Qualität!

Einen Nachteil hat „blink blink“ aber früher wie heute: Es ist aufwendig zu produzieren, vulgo teuer. Deshalb ist Shimano dazu übergegangen, seine Teile zu lackieren. Damit sparten sie sich das kostspielige Oberflächenfinish. Die aktuelle Ultegra-Gruppe ist wohl weniger deshalb schwarz eingefärbt, weil es gut aussehen würde, sondern weil es billiger ist. Aus gutem Grund sind glänzende Flächen der Dura Ace vorbehalten.

Freut euch also, wenn alles blitzt und glänzt. Dann habt ihr was Gutes!


8. Die Komponenten

Ich sag’s gleich: Shimano find ich langweilig. Ja, die Komponenten sind technisch ausgereift, bieten ein gutes Preis-Leistungsverhältnis und funktionieren auch nach Jahren noch zuverlässig. Aber sie sind nun mal sexy wie ein Butterbrot.


Anfang der Achtziger allerdings, da war Shimano mal sowas von hot! Bis dahin waren die Japaner aus Osaka ein gesichtsloser Billiganbieter mit eigentümlich japanischem Design, wie man es ähnlich auch von frühen Hondas kennt. Doch sie erkannten einen Trend, die Aerodynamik, und griffen ihn mit großer Entschlossenheit auf. Das Ergebnis waren die legendären AX-Komponenten, von denen jedes einzelne Bauteil konsequent auf Windschlüpfigkeit ausgerichtet war. Für die Gruppe wurden extra schmalere Rahmen mit flachgepressten Rohren entwickelt. Sensationell, als 14-jähriger Bengel habe ich mir auf der Kölner Fahrradmesse IFMA die Nase an den Schaukästen mit AX-Rädern plattgedrückt. Die AX-Gruppen waren nicht nur atemberaubend schön, sie sollten das Fahrraddesign umfassend revolutionieren. Statt altmodischer Gravuren waren fortan glatte Flächen angesagt.

Bremsten bergauf gut: AX-Bremsen
Leider zeigte sich die traditionsbewusste Kundschaft mit dieser experimentellen Gruppe völlig überfordert, hinzu kamen einige technische Mängel wie ausreißende Gewinde, schwache Bremsen und der wacklige, knarzende Vorbau. Die AX-Gruppen floppten.

Shimano 600 "Arabesque"
Aber Shimano war nun ein Faktor und stieg in wenigen Jahren zum Weltmarktführer auf. Bald waren nahezu alle Rennräder im unteren und mittleren Preissegment mit Shimano ausgestattet, auch aktuell fährt fast jeder Ultegra. Die Dominanz ist erdrückend.

So langweilig ist der Kram, abgesehen von wenigen Highlights, dann auch. Die klaren Formen, die glänzend polierten Flächen der frühen Achtziger sind ja noch ganz ansehnlich, aber danach? Der Golf II unter den Fahrradteilen. Einsteigergruppen wie Exage, RX oder die frühen 105er sahen schon nach dem ersten Winter gammlig aus.

Bremse mit Aludeckel, darauf muss man erstmal kommen! 
(Quelle: cyclyng.com)
Welche Alternativen gibt es? Campa, klar. Der heilige Gral, auch wenn manche Ausritte des Traditionsherstellers schier zum Haareraufen waren. Mit den sogenannten Delta-Bremsen als Tiefpunkt: pfundschwere Pakete, die angeblich bei starker Belastung zum Blockieren neigten, weil der komplizierte, unter einem Aludeckel verborgene Scherenmechanismus im Innern umschlug. Nichts, was man sich auf einer langen Passabfahrt wünscht. Andere Gerüchte besagten, dass sie schwer zu dosieren waren und bei der ersten Generation der Entspannmechanismus abreißen konnte. Ergebnis: Die Bremse bremste nicht.

Alles über die Delta-Bremse und ihre Probleme bei cyclyng.com!

Dennoch: Nichts geht über eine komplette Record, egal welchen Alters. Exklusiver und edler geht‘s kaum.

Dann gab es ein paar kleinere Hersteller, die aber zum Teil sehr unterschiedliche Qualität boten. Simplex und Huret bei Schaltungen. Mavic überraschte hin und wieder mit echten Highlights, Diacompe und Modolo kreierten ein paar schlicht schöne Bremszangen, die – unter verschiedenen Labels angeboten – heute zu astronomischen Preisen gehandelt werden.

"New Dura Ace" 1984
Doch mein Favorit ist immer noch Suntour, der Wegbereiter aller asiatischen Hersteller. Sie waren eine Zeitlang mit aufwändiger Technik und tollem Finish eine echte Alternative zu Campagnolo, ihre Schaltungen waren allen Konkurrenten überlegen. Das Design der Spitzengruppe Suntour Superbe Pro ist für mich bis heute von unübertroffener Schönheit. Doch leider konnte Suntour irgendwann mit der Marktmacht und Innovationskraft von Shimano nicht mehr mithalten und wurde überrollt.

Weil Velophile meist Campa oder Shimano bevorzugen, sind Suntour-Komponenten leider nur noch selten zu finden. Umso mehr freue ich mich, wenn ich sie doch mal in freier Wildbahn sehe. Campa und Suntour teilen sich in meiner persönlichen Hitparade also Platz 1. Auch polierte Alu-Komponenten von Shimano aus den Achtzigern können an einem Traditionsrenner schick aussehen. Doch drumherum gibt es noch viele schöne Teile, die es zu entdecken gilt: Naben von Pelissier, Stronglight-Tretlager. Und wer weiß heute noch, dass Weinmann aus der Schweiz einst größter Hersteller von Fahrradbremsen weltweit war? Viel Spaß beim Stöbern!


Mein "Norta" in AX-Ausstattung




9. Das Design

Einfarbig.

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Ja klar einfarbig! Ich mein‘, die meisten Räder, die in Frage kommen, stammen aus den späten Siebziger, frühen Achtziger Jahren, der Ära von Schulterpolstern und neonfarbenen Netzstrümpfen, dem Zeitalter brutalstmöglicher Geschmacksverirrungen. Und dann auch noch Italien, ich sage nur „Fiorucci“. Googelt das, wenn ihr mutig seid, aber setzt vorher eine Sonnenbrille auf. Jedwede Form thermonuklearer Reaktion ist dagegen augenschonend.

Achtziger Jahre, puh!
Auch einige durchaus renommierte Rahmenbauer sind in dieser Zeit optisch steilgegangen. Eine Nachbarin fährt einen lila-gelb geflämmten Olmo-Rahmen, gepaart mit diesen bläulich lackierten Shimano-Komponenten aus der Tricolor-Gruppe. Danach braucht man einen Schnaps. Und Colnago hatte in jener Zeit eine ganz eigene, nun ja, Designvision entwickelt, indem sie vor dem Lackieren einen Glühstrumpf übers Rohr zogen und in wilden Farbkaskaden ein eigentümliches Karomuster auf die Rahmen sprühten. Ein Wunder, dass die Marke diese Exzesse überlebt hat, marketingtechnisch scheint Colnago echt unkaputtbar.

Natürlich sind nicht alle Muster schrecklich. Manschetten, Ringe, Streifen – alles hübsch anzusehendes Dekor. Jeder, wie er mag. Aber es geht doch nichts geht über ... na? Genau: den einfarbig lackierten Stahlrahmen. Pinarello macht‘s vor.


Vintage Bike Guide:
Erster Teil.
Zweiter Teil.

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