"Steel is real" – Teil II
Vintage Bike Guide – die Welt der Stahlklassiker
3. Der Randonneur
3. Der Randonneur
Raleigh-Katalog |
Erfunden haben dieses äußerst lässige Rad, wie der Name
schon erahnen lässt, die Franzosen, und von daher stammen die schönsten
Exemplare auch von Marken wie Motobecane, Peugeot, Mercier, Gitane. Für uns
deutsche Bengel hieß es trotzdem Rennrad. Hauptsache, gebogener Lenker.
Ich hatte Glück, mein Rixe quittierte seinen Dienst damals
nur wenige hundert Meter entfernt von einem niedersächsischen Landgasthof.
Ich musste nicht weit schieben.
Kostet nicht viel, ist cool. Ein Randonneur ist immer eine
gute Wahl, auch wenn er kein Rennrad ist.
4. Der Rahmen – oder:
„Löten ohne Lötzinn ist Blödsinn“
Bis Ende der Achtziger Jahre wurden so gut wie alle Rennradrahmen
in Handarbeit aus Stahlrohrsätzen zusammengelötet. Hersteller wie A.L.A.N. oder
Look hatten zwar aus Gründen der Gewichtsersparnis bereits vorher mit dem Werkstoff
Aluminium experimentiert, meist wurden dabei dünne Alurohre in Muffen geklebt, das
Ergebnis aber war zweifelhaft. Diese Räder waren bestenfalls Radlern von der
Statur einer Elfe zuzumuten, schwerere Fahrer zerlegten es mit dem ersten
kräftigen Antritt, und auf der Abfahrt wabbelte das Alugeröhr wie gekochte
Makkaroni. So blieb der handgelötete, gemuffte Stahlrahmen lange die Norm.
Moment! Die Rahmen wurden gelötet, nicht geschweißt? Ja, weil ein hochwertiger Rennradrahmen sich aus zwei Bestandteilen zusammensetzte: Den Stahlrohren und den Muffen, die sie zusammenhalten, und diese beiden Komponenten mussten miteinander verbunden werden. Zu große Hitze lässt den Stahl jedoch spröde werden, deshalb kam das Schweißen als Verbindungstechnik nicht in Frage. Doch auch das Löten hat seine Tücken. Die Rohre müssen passgenau ausgerichtet sein und sie dürfen nicht unter Spannung stehen. Dafür werden sie vorab in eine sogenannte Rahmenlehre eingespannt.
Moment! Die Rahmen wurden gelötet, nicht geschweißt? Ja, weil ein hochwertiger Rennradrahmen sich aus zwei Bestandteilen zusammensetzte: Den Stahlrohren und den Muffen, die sie zusammenhalten, und diese beiden Komponenten mussten miteinander verbunden werden. Zu große Hitze lässt den Stahl jedoch spröde werden, deshalb kam das Schweißen als Verbindungstechnik nicht in Frage. Doch auch das Löten hat seine Tücken. Die Rohre müssen passgenau ausgerichtet sein und sie dürfen nicht unter Spannung stehen. Dafür werden sie vorab in eine sogenannte Rahmenlehre eingespannt.
Doch auch beim Löten kann die Temperatur zum Problem werden:
Das Lötzinn sollte nur so weit erhitzt werden, dass es in den Spalt zwischen
Rohr und Muffe kriechen kann und zwischen beiden eine flächige Verbindung
herstellt. Wird zu heiß gelötet, werden auch die Muffen mit erhitzt, sie
schmilzen und das Material wird spröde. Rahmenbrüche sind die Folge.
Und so mussten Rahmenbauer sehr sorgfältig arbeiten. Der Lötvorgang
verzeiht keine Fehler. Deshalb gilt der Rahmenbau als hohe Handwerkskunst, und
am besten beherrschen sie seit jeher die Italiener. Vergleiche zu einer
Stradivari dürfen gezogen werden.
Hat der Meister sauber gearbeitet, ist das Ergebnis ein leichter,
langlebiger, elastisch federnder Stahlrahmen. Ein Kunstwerk ist entstanden,
genau das, was wir lieben!
5. Das Material
Verwendet wurden für die Stahlrenner nahtlos gezogene Rohre.
Ein Verfahren, das Ende des 18. Jahrhunderts Herr Mannesmann in Remscheid entwickelt
hatte: Die Rohre werden über einen sogenannten fliegenden Dorn hinweg durch
einen Ring gezogen, die sogenannte Matritze... Ach, schaut doch selbst:
Nahtlos gezogene Rohre (ab 05:29)
Den Markt für hochwertige Rohrsätze dominierten lange zwei europäische Hersteller: Reynolds aus England und Columbus aus Italien. Seltener findet man Rahmen aus Rohrsätzen des japanischen Herstellers Tange, die aber ausgezeichnet sind, und auf den letzten Drücker stieg auch noch Mannesmann in den Markt ein. Da allerdings hatte der Siegeszug des Alurahmens bereits begonnen.
Den Markt für hochwertige Rohrsätze dominierten lange zwei europäische Hersteller: Reynolds aus England und Columbus aus Italien. Seltener findet man Rahmen aus Rohrsätzen des japanischen Herstellers Tange, die aber ausgezeichnet sind, und auf den letzten Drücker stieg auch noch Mannesmann in den Markt ein. Da allerdings hatte der Siegeszug des Alurahmens bereits begonnen.
Traditionsrohr Reynolds 531 |
Bei einfachen Stahlrennern fand häufig das Columbus-Aelle-Rohr
Verwendung, solides Material, aber etwas schwer, und meist auch nicht so
liebevoll verarbeitet.
Edleres Geröhr wie Columbus SL/SLX oder Reynolds 531 ist zusätzlich
noch „konisch gezogen“, das heißt, die Wandstärke der Rohre nimmt von außen zur
Mitte hin ab. Das spart Gewicht, ohne Stabilität und Verwindungssteifigkeit zu
beeinträchtigen. Man spricht von „butted“ (einfach konifiziert), „double
butted“ (zweifach konifiziert) oder „triple butted“ (dreifach konifiziert). Den
Vogel schoss in dieser Hinsicht Reynolds mit seinen 753er-Rohren ab: Hier sind die
Außenwände teils zarte 0,3 Millimeter dünn! Schon schon ein kleiner Stupser konnte
reichen, um eine Delle ins Rohr zu drücken. Rahmen dieser Qualität sind so rar
wie teuer, man findet sie vor allem bei Bahnrädern. Und weil sie so empfindlich
sind, würde ich sie auch nicht auf der Straße fahren. Sie machen sich bestimmt
gut hinter Glas.
Reynolds 531 und 753, Mannesmann Oria, Columbus SL/SP oder SLX: Das alles waren Top-Rohre. Doch auch Tange produzierte mit Tange Prestige oder auch Tange Champion No. 1 hervorragende, leichte Rohrsätze für exzellente Räder. Die meisten blieben aber in Japan, Tange-Rahmen waren bei uns recht selten zu bekommen. Ab Anfang der Achtziger Jahre fertigte Centurion daraus hinreißende Rennräder wie das „Le Mans“ und das „Professional“, später drängten japanische Hersteller wie Nishiki, Norta oder Panasonic damit auf den europäischen Markt.
Die Rohre sind die Basis. Aber schaut euch schließlich noch die
Anlötteile, Ausfallenden, Gravuren und Verzierungen eines Rahmens an: Wie fein
ziseliert und liebevoll hier im Detail gearbeitet wurde, sagt schon einiges
über die Qualität des Rahmens aus, billige Stanzteile hingegen sind nicht
wirklich sexy.
Italienische Rahmenbauer kannten, was das Dekor betrifft,
überhaupt keine Hemmungen, die haben ihr Logo überall hineingraviert, wo gerade
Platz war. Kein Metallteil war vor ihnen sicher. Und dann wurde die Gravur noch
bunt ausgemalt. Hohe Handwerkskunst, klar, aber optisch gern mal die Kategorie
Zuckerguss.
Es ist immer etwas Besonderes, einen Klassiker zu fahren. Aber
woher rührt die Liebe zum Stahl? Vermutlich liegt es daran, dass jedes dieser
Räder ein Unikat ist, jedes versprüht seinen eigenen, individuellen Charme. So
ein Schätzchen lebt! Doch es gibt ein Kriterium, das einen Klassiker endgültig
zur Legende erhebt, und das ist die Marke!
6. Die Marken
Muss es
immer ein Italiener sein? Auch andere Mütter haben schöne Töchter, und
es gab so viele wundervolle Marken: Peugeot, Mercier, Gitane, Batavus
und Gazelle, Koga Miyata und Eddy Merckx, Puch und Simplon aus
Österreich, Cilo Swiss; aus Deutschland fallen mir spontan Krautscheid,
Kotter, Rickert, Herkelmann oder auch Centurion ein. Hinreißend schöne
Räder, echte Klassiker.
Ein Eddy Merckx in Perfektion |
Mein erstes echtes Rennrad etwa war ein Raleigh „Team“ in Rot, Gelb und Schwarz, den Farben des Profi-Teams von TI-Raleigh. Ich habe es geliebt. Die Fahrer stachen damals nicht nur des markanten Designs wegen im Profi-Peloton hervor, das Team stellte mehrere Klassikerkönige, Joop Zoetemelk gewann 1980 die Tour, und Dietrich Thurau absolvierte 1977 seinen legendären Erfolgsritt im Gelben Trikot für TI-Raleigh. Die Team-Räder werden heute hoch gehandelt.
Italiener oder nicht: Jede Marke erzählt ihre eigene Geschichte. Und mal ehrlich: Unter italienischer Flagge war auch einiges an Blendwerk unterwegs, so wie die wohlklingende Marke „Barellia“, die vom Frankfurter Versender Brügelmann vertrieben wurde. Gute Dutzendware, mehr nicht. Vermutlich aus Taiwan. Und was einige Tifosi zwischenzeitlich zusammenlöteten, ging auf keine Kuhhaut, zwischen Muffe und Rohr klafften da gern mal millimeterdicke Spalte; renommierte Hersteller wie Bianchi produzierten mehr Masse als Klasse.
Mythos
hin, Mythos her: Nüchtern betrachtet ließ die Qualität bei vielen
Italienern in den Achtzigern nach, und als dann die leichteren Alurahmen
auf den Markt drängten, verloren sie sich endgültig in unsinnigen
Experimenten und wilden Farbexzessen, mit denen sie die mangelnde
Innovationskraft zu übertünchen suchten. Nur wenige Manufakturen,
Pinarello etwa oder De Rosa, wurden noch ihrem Ruf gerecht.
Fausto Coppi |
Und doch
schlägt beim Anblick eines kobaltblauen Gios Torino in
Campa-Komplettausstattung mein Herz höher. Warum nur? Bianchi, Cinelli,
Ciöcc, Colnago, De Rosa, Gios, Guerciotti, Milanetti, Pinarello,
Tommassini, Vicini ... Es ist nicht nur der besondere Klang dieser
Namen. Wo sonst gibt es diese leichte Eleganz, die Verspieltheit und
Leidenschaft bis ins kleinste Detail? Ein italienischer Renner hat immer
etwas Besonderes, er ist Ausdruck einer großartigen Tradition edler
Heroen wie Gino Bartali oder Fausto Coppi. Die Tifosi haben ihrem Sport
Kapellen und Kirchen gewidmet – die heute Pilgerstätten für Radsportfans
aus aller Welt sind! Und all das, diese Tradition, die Liebe zum Sport,
spürt man, wenn man einen Italo-Renner in den Händen hält.
Es stimmt,
der Name ist nicht alles. Jedes Rad hat seine Geschichte, jedes seinen
Wert. Aber wenn du einen schönen Italiener bekommen kannst, nimm den!
Madonna del Ghisallo
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Vintage Bike Guide:
Erster Teil.
Dritter Teil.
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